Idomeni Volunteering

🕐 30. Mai 2016Idomeni, Griechenland ☀

Nach zwei Tagen Badespaß in Griechenland erreichten wir schließlich Polykastro. Dort wollten wir mit der deutschen Hilfsorganisation IHA (In-tereuropean Human Aid Association) im Flüchtlingslager Idomeni helfen.
Rund um Polykastro gab es mehrere Lager die den Flüchtlingen als Zu-fluchtsorte dienten, darunter auch Idomeni, welches mit über 10.000 Menschen das größte Lager war. Daher war Polykastro der zentrale Sitz der Fluüchtlingshilfe.

Wir kamen also im Warehouse an, einer großen Lagerhalle in der alle Spenden registriert und sortiert wurden. Dort hal-fen wir erstmal Addidas-Schuhe zu sortie-ren und begaben uns anschließend zum Warehome, einem Ort, an dem über 40 Helfer aus aller Welt umsonst schlafen konnten. Organisiert wurde die große Lagerhalle von David, einem Typen mit echt langen Dreadlocks aus London (yes man!).

Abends tragen wir uns im nahegelegenen Cafe Zeno mit Loubna von der IHA zur Lagebesprechung und bekamen direkt unsere Helferausweise ausgehändigt.


Am nächsten Morgen fuhren wir mit dem gesamten IHA-Team mit vier Autos zum Lager Idomeni, um Babynahrung zu vertei-len. Dabei passierten wir drei Polizei-kontrollen und wurden jedesmal kontrol-liert.
Im Lager gab es viele andere Organisationen und freie Helfer. Im Container der Ärzte ohne Grenzen war das Babyfood gelagert (HIPP-Essen und ALETE-Saft). Wir teilten uns auf, um das Babyfood im Lager zu verteilen, wobei wir stets sehr freundlich aufgenommen wurden - nur das Essen für die Babys wollte keiner haben! Nach regelmäßigen Einladungen zum Essen tragen wir uns alle wieder beim Container.
Mit dem restlichen Babyfood machten wir uns dann auf ans andere Ende des Lagers, wo die Flüchtlinge in einem alten Bahnhof zelteten. Das ganze Lager war wie eine Miniaturgesellschaft: es waren verschiedene Stadtteile auszumachen und viele Flüchtlinge hatten in ihren Zelten Shops auf-gestellt, in denen sie zum Beispiel Zigaretten, Lebensmittel, Limonade oder Falafel verkauften.

Das Lager war folgendermaßen aufgebaut: Auf dem großen Platz vor dem Lager wa-ren viele Zelte und Polizeikontrollen.
Dann kamen die Gleise Richtung Maze-donien, die vor der Grenze von griech-ischen Polizeibussen blockiert wurden. Auch die Gleise waren mit bewohnten Waggons und Zelten voll- gestellt.
Auf der anderen Seite gab es ein weiteres, riesiges ausgedörrtes Feld, auf dem viele Zelte standen. In der Nähe waren auch große weiße Sammelzelte für Familien und die Sanitären Anlagen (Dixie-Klos).
Dahinter lag ein Tüpel umgeben von eini-gen Zelten, die direkt vor dem mit NATO-Draht gespickten Grenzzaun standen. Auf der mazedonischen Seite war viel Militär und Panzer- fahrzeuge zu sehen, ein paar Tage zuvor hatten sie Tränengas ins Lager herübergeschleudert.
Den Lesern unseres Blogs werden sicher noch die starken griechischen Regenfälle in Erinnerung sein. Diese haben auch das Lager Idomeni in ein Meer aus Matsch und Schlamm verwandelt.

Am späten Nachmittag luden wir das übrige Babyfood in den IHA-Van ein, wobei wir von Flüchtlingskindern unterstüzt wurden, darunter Davids neuer kleiner Freund Orhan, der ihm eine Murmel schenkte.
Den Rest des Tages nahmen wir uns frei und kochten uns endlich mal wieder etwas warmes zu essen.

Der nächste Tag war Dienstag der 24. April. Nicht nur dass dies Tills Geburtstag war, nein, es war dies auch der Tag, an dem das Lager Idomeni gerämt und alle Lagerinsassen in griechische Militärcamps verlegt werden sollten. Für die Flüchtlinge ist dies ein zweischneidiges Schwert, da die Versorgung dort nur notdürftig ist (keine freien Helfer und nur sehr wenige NGOs dürfen dort hinein) und sie dann Asyl in Griechenland beantragen müssen (wenigstens besteht die Warscheinlichkeit, dass dort mehr als eine Stunde Bearbeitungszeit pro Tag für alle Lagerinsassen angeboten wird, wie in Idomeni). Diese Asylverfahren dauern allerdings jahrelang und haben einen ungewissen Ausgang.
Da das Lager gerämt werden sollte, durften auch keine Volunteers mehr hinein und wir verbrachten den restlichen Tag damit, Hilfspakete im Warehouse zu schnüren. Am Abend bekamen wir dann von Loubna den Auftrag, ein Schulzelt in Nea Chrani, einem verlassenen Militärcamp, abzubauen und im neuen Militärcamp Sindos wieder aufzubauen. Dieser Auftrag sollte uns noch den Rest unserer Volunteerszeit Kopfzerbrechen bereiten...

Am nächsten Tag begannen wir alles nötige zu organisieren: Helfer, Werkzeuge, Laster, Fahrzeuge etc... und immer diese Plan-änderungen. Bemerkenswert sei hierbei der versprochene Ingeieur Matt (welcher am Ende nichtmal mitkam), dessen einzige Qualifikation auf diesen Titel es war, sechs Monate im Bau geholfen zu haben. Des-weiteren putzten wir an diesem Tag auch das Warehome, da es sich gehört in einer kostenlosen Unterkunft Hand anzulegen (was die meisten Anderen dort wohl über-hört haben).
Gegen Abend erreichte uns ein glücklicher Anruf, dass wir am morgigen Tag einen weiteren Helfer namens Daniel in unserem Team begrüen durften.
Am nächsten Morgen fuhren wir mit drei Mädels, Julian und seiner Mutter, alle von der IHA, los, um auf dem Weg nach Nea Chrani Daniel abzuholen. Als wir bei seinem Hote ankamen, saß er nach seinem Früstück glücklich und zufrieden am Tisch. Das arme Schwein ahnte noch nicht, was ihm noch alles bevorstehen sollte...

Es stellte sich also heraus, dass Daniel ein gelernter Zimmermann ist und als einziger von der Crew wirklich Ahnung davon hat-te, ein 50m² Holzgestell mit Dach ab- und wieder aufzubauen. Da auch Julian gut Hand anlegen konnte, war das Zelt auf dem Fußballfeld von Nea Chrani bis zum späten Mittag abgebaut und abends hatten wir alle Einzelteile im Lager von Sindos aufgestapelt.
Zum Glück hatte Daniel die geniale Idee, einen Tag frei zu nehemen. Da wir uns sehr gut verstanden kam er mit uns nach Polykastro und schlief ebenfalls im Ware-home. Am nächsten Tag schoben wir mit Daniel einen faulen Lenz un kochten uns einen riesigen Berg Kartoffelpuffer mit frischem Apfelmus - Daniel hatte sich bereiterklärt die 3kg Kartoffeln zu reiben.
Abends machte er sich auf zu seiner neuen Freundin Tabea, die auch Volunteer war und im Nachbarort hauste.

Der Samstag kam und wir fuhren mit drei neuen Freiwilligen und ohne Julian und Mama in einem Konvoi nach Sindos. Dieses Camp war in aller Eile in einer alten Le-derfabrik weit außerhalb von Thessaloniki (am Arsch der Welt) errichtet worden, dementsprechend waren dort auch die Standarts für die 500-800 Flüchtlinge. Nebenan war eine Fabrik die Schlachtabfälle verarbeitete und das ganze Lager permanent mit einem bestialischen Gestank einnebelte. Am anrüchigsten war es, wenn sich dieser Geruch mit dem der via Wasserschlauch in Entleerung befindlichen Dixie-Klos mischte.
Während die drei Mädels gekonnt im Weg herumstanden, waren die anderen drei aus dem Warehome am Ballspielen. Nur Daniel hatte eine Ahnung von der Arbeit und wir versuchten uns mit fraglichem Erfolg als seine Handlanger. Wie dem auch sei, wir kamen langsamer voran als geplant und gegen Abend stand grademal das Gerüst des Zeltes.
Aufgrund der Strapazen des langen Ar-beitstages fiel Daniel, der alleine auf dem Dach zu werke war, in einem Moment der Unachtsamkeit der Akkuschrauber aus der Hand und fiel einem der Mädchen auf die Nase - das Resultat war eine Sache fürs Krankenhaus, eine Platzwunde musste genäht werden. Mit ihrer gesunden Nase schwand auch unsere Mitfahrgelegenheit nach Polykastro und es kostete uns und andere sehr viele Nerven, den IHA-Van in Thessaloniki für unsere Heimkehr bereitzustellen.

Als wir gegen Mitternacht Polykastro erreichten, lud uns Daniel dazu ein, mit ihm und Tabea noch ein Bierchen in der Bar zu trinken. Zuerst hatten wir wegen der anstehenden Arbeit am nächsten Morgen Zweifel, schließ-lich willigten wir ein.
So kam ein Bierchen zum anderen und dank eines freigiebigen Wirtes auch ein Ouzo zum nächsten. Es stellte sich heraus, dass Tabea auch eine Rainbow-Sister aus Deutschland war. Wir tanzten uns die Nacht um die Ohren und gegen sechs Uhr früh legten wir uns alle bei Tabea zur Ruhe. Doch diese Ruhe sollte nicht lange währen, denn bereits um 10 Uhr saßen wir alle drei mehr oder weniger (eher weniger) nüchtern im Van Richtung Sindos, um unser Werk zu vollenden. Da nahm das Unheil seinen Lauf...

Während Till kaum instande war eine Schaufel zu führen brachte David auf dem Dach der Schule sitzend nur heraus: "Leute, es tut mir leid, ich... ich bin durch!" Daniel hielt sich trotz seiner Verfassung als einziger wacker, doch alles was er schuf fiel unserer Dusseligkeit zum Opfer! Verzweifelt fragte er uns in vollem Ernst: "Macht ihr das eigentlich mit Absicht?".
Man muss dabei anmerken, dass Daniel einer der ruhigsten und ausgeglichensten Charaktere ist, die uns bisher auf unserem Weg begegntet sind - doch wir schafften ihn.

Ein paar Tage später in Sofia schrieb ich folgendes Stück für ihn:


Road Songs #1: Daniel

Am Ende des Tages hing die Plane schief und scheppig am Zelt und völlig entnervt machten wir uns auf den Heimweg, um nie wieder einen Fuß in dieses Lager zu set-zen. Trotz alledem verabschiedeten wir uns im Guten von Daniel und verab-redeten, uns auf dem Rainbow in Georgien zu treffen, da Daniel dort auch per Autostop hin unterwegs war.

Fix und fertig aßen und duschten wir noch und machten uns am nächsten Morgen auf den Weg nach Bulgarien. Wir hatten tat-sächlich mächtig Glück, das erste Auto hielt und nahm uns mit bis zur griechisch-mazedonischen Grenze.