Durch Kirgisistan

🕐 15. September 2016Sary Chelek, Kirgisistan ☀

Unterwegs zum See Sari Chelek

In Osh hielten Joel und ich uns nicht lange auf. Wir aßen eine Suppe und loggten uns im Internet ein, um eine Couch in Bishkek zu organisieren. Nach insgesamt vier Stun-den in der Stadt marschierten wir dank Google-Maps einen gewaltigen Umweg, um Osh zu verlassen und trampten schließlich an Kirgisistans wohl meist befahrensten Straße Osh-Bishkek.

Wir wollten lediglich ein paar Kilometer machen, um irgendwo im Grünen unser Zelt aufzuschlagen, doch wie das so üblich ist, fanden wir direkt ein Auto bis nach Bishkek. Aber diese Gelegenheit nahmen wir nicht war und nach 50 Kilometern verabschiedeten wir uns von den drei netten Muslimen, die uns beim Aussteigen noch eine islamische Schutzformel beibrachten. Dort schlugen wir an einem großen See unser Zelt mit Blick auf Usbekistan auf.

Der nächste Tag begann mit dem Entschluss, vor Bishkek noch einen Abstecher zum in ganz Kirgisistan berühmten See Sary Chelek zu machen. Dieser See liegt in einem Nationalpark am Rande der Berge.
Wir ließen also den Osh-Bishkek Highway hinter uns und fanden uns in einer an Bayern erinnernden Landschaft wieder: grün wohin das Auge reicht, Hügel, Berge und eine Menge Kühe (ich sage da nur: Kotalm! Ja, den Ort gibt es wirklich...). Ich fühlte mich hier sofort wohl und gegen Abend erreichten wir den Rand des Nationalparks.

Dort floss auch ein kleiner Fluss, ideal zum campen, und das Beste war, dass am Wegesrand jede Menge Brombeersträucher auf ihre Plünderung warteten.
Wir genossen den Abend mit einer Tasse Mate, die Joel mit sich führte (Mate ist ein argentinischer Tee, den man aus einem speziellen Gefäß trinkt).
Tags drauf setzten wir unseren Weg zum See fort und fanden uns 15 Minuten später vor einem Tor wieder: Eintritt. Diese Blutsauger wollten doch tatsächlich 1.400 Som (=18,50€) von uns Beiden für den Eintritt und eine Übernachtung im Zelt haben. Wir schafften es irgendwie, die Dame auf 1.000 Som herunter zu handeln und durften somit den Nationalpark betreten.
Das Problem war nur, dass es zum See 20 Kilometer den Berg rauf ging. Wir waren aber viel zu faul, das abzulaufen und setzten uns stattdessen an den Wegesrand, um auf ein paar Touristenautos zu warten. Stattdessen hielt kurze Zeit später ein alter Laster an, der Heu aus dem Park holte. Im Nationalpark wurde nämlich auch fleißig Landwirtschaft betrieben. Wir standen auf der Ladefläche auf, hielten uns am Gestänge fest und los gings. Alle paar Kilometer musste diese Klapperkiste halten un Kühlwasser aus den Bächen nachzufüllen und irgendwann bog der Laster in einen Feldweg ab und man sagte uns, dass wir von hier noch drei Kilometer laufen müssten.
Wir schulterten also unsere Rucksäcke und machten uns in freudiger Erwartung auf.

Der See schnitt sich tatsächlich schön in die felsigen Berge, am Rande konnte man die Wälder sehen und das Wasser war sehr klar. Allerdings gab es keine geeignete Stelle zum Zelten und der begehbare Teil war nicht sonderlich groß, weswegen man nicht wirklich alleine war. Das trübte unsere Begeisterung ein wenig.

Irgendwann beschloss ich, ins Wasser zu gehen. Ich ging also an einer Gruppe Tratschtanten vorbei, die mich fleißig beobachteten, setzte einen Fuß ins Wasser und... Schluck! Das Wasser war ja eiskalt!
Aber zu spät, ich konnte den Tanten doch keine Show bieten, ließ mir also nichts anmerken und marschierte immer weiter in den See hinein. Dort drehte ich ein paar Runden, winkte den Tanten zu („Nein, das Wasser ist gar nicht kalt“) und ging anschließend wieder an Land. Uff, aber wenn man aus dem kalten Wasser kommt, fühlt es sich ja bekanntlich immer gut an.
Joel wartete mit seinem Badegang noch, bis die Tanten weg waren. Abends mussten wir im Garten des Hauses der Ranger zelten, was kein wirklich schöner Platz war - nicht einmal mit Seeblick und nur harter Boden mit wenig Gras.

Das Schlachtfest

Am nächsten Morgen ergab sich dann wie von selbst eine Mitfahr-gelegenheit mit einer kirgisischen Reisegruppe zurück zum Dorf vor dem Nationalpark. Diese Gruppe bestand vorwiegend aus alten Tanten und Onkeln, die einem die Ohren vom Kopf schnatterten. Auch die Fahrt in ihrem Reisebus war gekennzeichnet von konstantem Gesinge der ganzen Gruppe, aber hört selbst...


Unterwegs im Bus mit einer verrückten und singenden Reisegruppe

Dementsprechend waren wir froh, als wir endlich ankamen und als Be-lohnung wurden wir zu deren Tafel eingeladen. Doch darauf hätten wir lieber verzichtet, denn es war ein Schlachtfest - im wahrsten Sinne des Wortes.
Zuerst gab es eine Brühe, ohne alles, da ahnten wir noch nichts böses. Danach kam irgendein Fleisch, wir vermuteten es handle sich um Zunge - ungenießbar! Uns wurde bereits schlecht, doch es kam noch besser: als nächstes kam der Kopf eines Schafes auf den Tisch, der bis auf den letzten Knochen von einem begeisterten Mann mit einem riesigen Messer gepuhlt, verteilt und gefressen wurde. Gepaart mit „Naturalnia“-Rufen und „das ist was besseres als Burger“, war die Meute am schlemmen.
Da dämmerte es uns: es gab für die ganze Gruppe ein Schaf, welches komplett gekocht und nun nach und nach verzehrt wurde. Wochen später erfuhr ich auch den Namen des Gerichts: „Fünf Finger“. Als nächstes kamen Nudeln (tatsächlich!), die allerdings im Fett des Schafes schwom-men. Das gute Fleisch hingegen, von dem man denken sollte, dass es das Leckerste sei, wurde allerdings kaum von der Gruppe angerührt. Wir hielten uns schon seit einer Weile an die paar Tomaten, die auf dem Tisch standen und lehnten jeden Wodka ab, hatten wir doch nur einen Wunsch: schnell weg.
So schnell wie das Fressen begonnen hatte, war es dann aber auch vorbei und die Reisegruppe löste sich auf, um in ihren jeweiligen Autos zurück nach Bishkek zu fahren. Zum Glück hatten sie keinen Platz für uns!

Zurück zur Zivilisation

Wir trampten also hinaus hinaus aus dem Nationalpark und gegen Abend fragten wir in einer Moschee, ob wir dort schlafen könnten. Leider war dies nicht möglich, aber ein netter Muslim lud uns für die Nacht zu sich nach Hause ein. Es war sehr angenehm, mal wieder ein Dach über dem Kopf zu haben. Wir kochten Nudeln für alle und gingen zeitig schlafen.

Daraufhin hatten wir einen relativ un-spektakulären Tramptag an dem wir es nicht ganz bis nach Bishkek geschafft haben und abends zwischen voll hängenden Apfelbäumen nächtigten (der-en Plünderung nebenbei bemerkt eine Selbstverständlichkeit ist).
Als wir schließlich in Bishkek ankamen, mussten wir feststellen, dass wir keine Einladung über Couchsurfing erhalten hatten, und so mussten wir für eine Nacht in ein Hostel ziehen. Am nächsten Tag jedoch konnten wir zu Askars alter Bude gehen, in der er grade Couchsurfer Aufnahmen, da sie lehr stand. Es war kein Problem für ihn, dass wir dort drei Nächte ver-weilen wollten, nach den letzten Wochen intensiven Reisens hatten wir etwas Entspannung nötig.

Eigentlich hatten wir ja vor, in Bishkek unser China-Visum zu machen, doch ein Bombenanschlag auf die chinesische Botschaft zwei Tage vor unserer Ankunft und der anstehende G20-Gipfel in China machten jegliche Möglichkeit zunichte, das Visum in den nächsten Monaten irgendwo in Zentralasien zu bekommen.
Joel plante derweil ein Treffen mit seiner serbischen Freundin in St. Petersburg und buchte einen Flug für in einer Woche nach Russland. Er wollte von dort auch nach Tiflis Reisen, was zurzeit wohl der einzige Ort in der Welt ist, wo man problemlos ein China Visum bekommen kann. Ich wusste nicht so recht, wie ich fortfahren sollte und beschloss erstmal abzu-warten. Indien wäre ja schließlich auch eine Alternative.

Wir machten uns also daran, ein paar Tage in Bishkek ordentlich abzu-hängen. Eines Abends beschlossen wir, das Nachtleben der Stadt auszu-kundschaften. Wir trafen mittags die Vorbereitung (= Bier einkaufen) und nach einem guten Abendessen und ein paar Flaschen Bier machten wir uns auf in die Stadt. Doch diese war um 22 Uhr abends wie ausgestorben und das an einem Samstag!
Nach ewigem Suchen fanden wir einen Club, der uns allerdings den Eintritt verwehrte, wahrscheinlich waren wir nicht Schikki-Mikki genug gekleidet. Weiter ging es durch die Stadt. Es ist unglaublich, aber es waren keine Bars zu sehen, keine jungen Leute auf der Straße, nichts. An der nächsten leeren Bar fanden wir einen jungen Mann, der uns zu einem Club fuhr, wo er auch arbeitete und er ersparte und 50% des Eintrittspreises.

Voller Erwartung betraten wir den Nachtclub. Es gab eine Bar, davor war eine große Tanzfläche und neben der Tanzfläche standen bezahlte Tische. Wir gingen erstmal zur Bar und bestellten uns ein überteuertes Bierchen. Wir entdeckten zwei leicht bekleidete Vortänzerinnen und einen Vor-tänzer, die an Stangen ihre Moves machten. Die Tanzfläche vor dem DJ war zwar nicht berechnend voll, aber immerhin waren ein paar Leute da.
Wir brauchten noch ein paar Bier, bevor wir uns dazu gesellen wollten. Doch da stoppte der DJ auf einmal die Musik, und alle Leute wurden von der Tanzfläche gescheucht und der Chef des Hauses begann mit einer stinklangweiligen Show. Er suchte ein paar Pärchen aus der Menge aus, die vortanzen mussten (gähn) und es tanzte geschätzte zehn Tänze eine Boygroup vor (doppel-gähn).
Gefühlte zwei Stunden später wurde die Tanzfläche wieder eröffnet und es dauerte eine Weile, bis genug Leben war, dass wir uns dazu gesellen sollten. Die Musik war nicht außergewöhnlich, ein Mix aus russischen Schlagern und 80er-/90er-Hits. Gegen 4 Uhr hatten wir genug und mach-ten uns auf den Heimweg.

Ab nach Kasachstan

Den nächsten Tag verbrachten wir noch einmal mit ordentlichem Ab-gammeln und Tags darauf brauchen wir auf Richtung Yssykköl, den zweit-größten Gebirgssee der Welt!
Doch ich hatte mir eine Erkältung eingefangen und wir schafften nur die halbe Strecke an diesem Tag. Wir schliefen im Hof eines Kirgisen und am nächsten Morgen hatte auch Joel den Schnupfen. Wir taten das einzig Richtige und kehrten zurück nach Bishkek, wo wir wieder in Askars Bude einziehen konnten.


Hallo FreundInnen #8: Probleme in Bishkek

Zwei Nächte später mussten wir aber erneut aufbrechen, diesmal nach Almaty in Kasachstan, von wo aus Joels Flug nach Moskau starten sollte. Er hatte dort eine Couch über CS organisiert und gegen Abend kamen wir erschöpft in der Woh-nung von Lenas Mama an. Lena übergab uns die Schlüssel und meinte, ihre Mutter sei nicht da, aber wir könnten in der Wohnung bleiben, kein Problem. Was für eine Überraschung - und genau das Richt-ige in unserem Zustand. Zwei Tage später ging Joels Flug und ich blieb noch eine Woche in der Wohnung, nach den letzten fünf Monaten hatte ich etwas Urlaub verdient. Ich nutze die Zeit, um einen neuen Road Song aufzunehmen, den Bossa „Alamanty“, den ich am See Sary Chelek geschrieben hatte.


Road Songs #6: Alamanty (Almaty, Kasachstan)

Ich besuchte die chinesische Botschaft, wo man mir erklärte, dass es in ganz Zentralasien für die nächsten drei bis vier Monate unmöglich sei, das Visum zu bekommen. So langsam verlor ich die Lust an China, wenn sie wirklich nicht wollten, dass ich käme, dann eben nicht, dachte ich mir...

Am Ende dieser Woche kam ein weiterer Gast in die Wohnung, ein Pro-fessor aus Ungarn, der hier einen Vortrag hielt. Wir verstanden uns sehr gut und gingen abends zusammen in die Sauna. Nachdem ich die Woche zwei Harry Potter Romane aus Lenas Mutters Bücherregal gelesen hatte war es nun wieder an der Zeit, aufzubrechen - von nun an alleine ohne meinen treuen Kumpanen Till und auch ohne meinen argentinischen Reise-partner Joel.